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Vorsicht, die Schule macht Kinder dumm!

Autonomes Lernen ist in Deutschland schon seit zwanzig Jahren gang und gäbe. Jetzt folgt die Schweiz in diese Fußstapfen. Ein fataler Fehler, wie Dr. Michael Winterhoff findet.In seinem neuen Buch „Deutschland verdummt: Wie das Bildungssystem die Zukunft unserer Kinder verbaut“ zeigt er die negativen Auswirkungen von autonomem Lernen auf unsere Kinder. 

Autonomes Lernen bedeutet Selbstständigkeit. Dass die Kinder früh lernen sich selbst um Dinge zu kümmern und so zu verantwortungsvollen Erwachsenen heranwachsen. Das war zumindest das Versprechen, das von der deutschen Regierung bei der Reform des Bildungssystems gegeben wurde. Dass das genaue Gegenteil der Fall ist erlebt Dr. Winterhoff tagtäglich am eigenen Leib.

Seit 30 Jahren ist der gebürtige Bonner Kinder- und Jugendpsychiater und hat in den vergangenen Jahren eine bedenkliche Entwicklung erkannt. „Das Elend, das ich heute bei meinen Patienten erlebe, ist nicht das selbe, das ich vor 15 Jahren erlebt habe. Damals hatten die Kinder zwar Probleme, besaßen aber die geistige Reife ihres Alters. Heute haben sie keine Substanz mehr, keine Körperspannung, sie leben nur mehr im Moment. Sie verstehen gar nicht mehr, dass es Probleme gibt. Da kann es am Vorabend eine schlimme Familienkrise gegeben haben und sie verstehen nicht, warum sie jetzt vor mir sitzen, selbst im Jugendalter nicht.“ Grund dafür ist laut Winterhoff, dass ihre Entwicklung im Kleinkindalter stecken geblieben ist. Sie verarbeiten Dinge, wie 3-jährige. Und daran sei das Bildungssystem schuld. 

Kinder sollen „einfach mal machen“

Autonomes Lernen – das Konzept klingt gut. Kinder lernen eigenständig und das wofür sie bereit sind. Dabei werden sie von Lehrern beaufsichtigt. Doch ganz so einfach ist es in der Realität nicht.

Autonomes Lernen bedeutet nämlich nicht nur, dass die Kinder eigenständig lernen, sondern, dass sie ganz auf sich allein gestellt sind. Sie bekommen Lernbegleiter – nicht in Form eines Lehrers oder Pädagogen, sondern in Form eines Heftes. Sie sollen selbst den Schwierigkeitsgrad ihrer Lektionen wählen, sie abschließen und sich anschließend auch selbst belohnen. „Wie sollen sie denn da etwas lernen? Stellen Sie sich vor, Sie wollen Tennisspielen lernen. Man stellt Ihnen eine Halle, Schläger, Bälle zur Verfügung und lässt sie dann einfach mal probieren. Da wird man doch kein anständiger Tennisspieler, wenn man keinen Trainer hat, der Ihnen die richtige Haltung beibringt und weiß, welche Übungen bei Ihren Schwächen helfen.“ Momentan ist das allerdings die Realität in Deutschland. Die Kinder sollen „einfach mal machen“. 

Fehlende Soft Skills

Funktionieren kann das laut Michael Winterhoff nicht. Seiner Meinung nach ist das Bildungssystem schuld daran, dass es in Deutschland momentan einen solchen Fachkräftemangel gibt. „50 Prozent der Maturanten besitzen in Deutschland keine Hochschulreife. Das bedeutet 17-, 18-, 19-jährige Schulabgänger, die die Grundrechnungsarten nicht beherrschen. Die keine E-Mail ohne fünf Rechtschreibfehler schreiben können und erst recht nicht sinnerfassend lesen. Die Kinder aus diesem Bildungssystem wachsen zu arbeits- und lebensunfähigen Erwachsenen heran.

Dass uns so viele Fachkräfte fehlen liegt nicht daran, dass wir zu wenige junge Menschen hätten, sondern dass die meisten dieser Menschen nicht mehr fähig sind, die Berufe auszuüben.“ Den Erwachsenen, die aus diesen Kindern heranwachsen, fehlen die sogenannten Soft Skills. Sie schaffen es nicht mehr zu priorisieren, welcher Reiz wichtig ist und können nicht mehr über das verfügen, was sie einmal gelernt haben.

„Der Titel ‚verdummt‘ bezieht sich nicht auf das tatsächliche Wissen, sondern auf die erworbene Intelligenz.“ Und diese Zukunft könnte auch Österreich drohen. Denn auch bei uns ist ein Fachkräftemangel bereits spürbar. Die Schweiz ist gerade dabei, Deutschland als Vorbild im Bildungssystem zu folgen. Und auch in Österreich wird bereits eine Reform in Richtung autonomes Lernen angedacht. Sollte das allerdings tatsächlich umgesetzt werden ist Dr. Winterhoff sich sicher, dass die Zukunft bei uns nicht anders aussehen wird, als in Deutschland: Erwachsene, die nicht fähig sind weiter zu denken, als ihre Nase lang ist. 

Die Psyche kann sich nicht mehr entwickeln

„Wir haben eine Grundintelligenz, mit der wir geboren werden. Die erworbene Intelligenz entwickelt sich in der Kindheit und Jugend“, so Winterhoff. Laut Winterhoff konnte sich diese Psyche in den 1990er-Jahren noch ohne Probleme entwickeln. Die Kinder waren mit drei Jahren kindergartenreif, mit sechs Jahren wissbegierig und schulreif, mit 16 ausbildungsreif. Heute ist das nicht mehr der Fall. Denn in dem neuen Bildungssystem kann sich die Psyche der Kinder laut Winterhoff nicht mehr entwickeln.

Dafür braucht das Kind Beziehungen und Bindungen und muss angeleitet werden. Es braucht Erwachsene, die ihm zeigen, wie es richtig geht und es in die richtige Richtung lenken. Bei autonomem Lernen ist das alles nicht gegeben. „Autonomes Lernen ist also die Vorstellung, dass die Kinder sich das alles alleine beibringen können und gar keinen Lehrer brauchen. Das ist ja das Weltbild eines ganz kleinen Kindes: Ich kann das schon alles alleine. Und wir belassen die Kinder in dem Weltbild eines kleinen Kindes.“ 

Das heißt nicht, dass die Kinder in ein Korsett gezwängt werden müssen und ihnen jeder Schritt vorgesagt werden sollte. Gegen offenen Unterricht spricht laut Winterhoff nichts. Wichtig wären hierbei aber unbedingt kleinere Gruppen, sodass der Lehrer jedem Kind einzeln genug Aufmerksamkeit schenken kann und es nicht auf sich alleine gestellt ist. Die Lehrer sollen Kinder in ein Thema einführen und beim freien Arbeiten herumgehen, Ideen geben und vor allem eine Beziehung zu den Kindern herstellen. „Beim autonomen Lernen ist die Beziehung aber gar nicht erwünscht.“

Kinder brauchen Ruhe und Zeit

Nur was hat nun die Digitalisierung mit der ganzen Sache zu tun? Laut Winterhoff ist sie nur das Tüpfelchen auf dem i. Es seien viele Eltern nicht mehr in der Lage, das selbe zu leisten wie Eltern vor 20 Jahren. Eben wegen der technischen Geräte. Die Menschen stehen unter Spannung, sind gestresst und unruhig, weil sie durch die Geräte ständig mit Informationen überflutet werden und Entscheidungen treffen müssen.

Aber genau das Gegenteil bräuchten Kinder. Sie brauchen Ruhe und Zeit, in denen die Eltern sich nur auf sie konzentrieren. Da würde es schon reichen, jeden Abend ohne technische Geräte gemeinsam zu essen und Geschichten auszutauschen, um den persönlichen Kontakt zu den Kindern herzustellen. Noch besser wäre es laut Winterhoff natürlich, sich regelmäßig bewusst von den Geräten zu trennen und sich Zeit alleine zu nehmen. „Ich gehe zum Beispiel alle zwei Wochen alleine im Wald spazieren um mich wieder zu erden.“ Bei Familien würde er empfehlen, dass sich alle Familienmitglieder an einem Tag der Woche von den Geräten loseisen und gemeinsam etwas soziales Unternehmen. Sei das ein Ausflug ins Grüne oder einfach nur ein Gesellschaftsspiel.

Doch all das kann den Kindern zuhause oft nicht geboten werden. Umso wichtiger wäre es, diese sozialen Bindungen in anderen Systemen außerhalb aufzubauen. Hierbei versagt das deutsche Schulsystem allerdings. Mit seinem Buch möchte Dr. Winterhoff wachrütteln und jeden zur Verantwortung zu ziehen. „Die deutsche Bildungspolitik wird sträflich vernachlässigt. Da fehlt Geld, aber auch Wille zur Veränderung. Wir verschleißen Lehrer und lassen sie alleine und die Lehrer lassen zunehmend die Kinder alleine. Hier möchte ich sagen: So sieht es aus! Schaut in den Spiegel und ändert etwas. Noch können wir das ganze retten. Wenn wir aber jetzt nicht handeln passiert ein riesen Desaster.“

Über den Autor

Dr. Michael Winterhoff ist Kinder- und Jugendpsychiater. Er wurde 1955 in Bonn geboren und ist selbst zweifacher Vater. Mit Werken wie „Die Wiederentdeckung der Kindheit. Wie wir unsere Kinder glücklich und lebenstüchtig machen“ oder „Warum unsere Kinder Tyrannen werden: Oder: Die Abschaffung der Kindheit“ beschäftigte er sich bereits vielfach mit den Veränderungen in der Entwicklung unserer Kinder. 

Foto: Shutterstock/Jaromir Chalabala

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